WORT ZUM SONNTAG +
- tillbehnke
- Jan 25, 2015
- 4 min read
Liebe Leuts,
der Januar ist jetzt mittlerweile auch schon fast wieder vorbei und somit mein fünfter Monat hier in Südafrika. Streckenweise wollte die Zeit einfach nicht voranschreiten, aber rückblickend ist es schon echt krass, wie schnell fünf Monate vergehen können.
Andererseits denke ich daran, an wie vielen Erfahrungen, Orten, Situationen ich gewachsen bin – kurz gesagt was ich alles erlebt habe: Ich wurde in eine wunderbare Familie aufgenommen, habe die Möglichkeit in einem Township untergebracht zu sein, was ich anfangs zwar eher als Last, mittlerweile aber eindeutig als Chance bzw. Vorteil sehe. Weiter habe ich viele eindrucksvolle Menschen getroffen, einerseits andere Freiwillige andererseits die Einheimischen und bin in eine Einsatzstelle gekommen die mich komplett erfüllt und mit offenen Armen empfangen hat. Nicht zu vergessen, hatte ich das Privileg einen wunderbaren Urlaub mit unendlich viel schöner Natur und eine Vielzahl an Städten zu besichtigen. Und für alles das, sind fünf Monate echt wenig Zeit.
So nach fünf Monaten macht man sich ja schon mal den ein oder anderen Gedanken über seine eigenen Rolle in dem Freiwilligendienst, auch betrachtet im weiteren Fokus von der interkulturellen Seite. Davon ausgehend ist mir aufgefallen, was es für ein Privileg ist, in der heutigen Welt als Europäer und besonders als „Deutscher“ geboren zu sein. Das alles hier, was für mich mehr ein Weiterentwicklungsprozess oder Prägungsprozess ist, ist für die Einheimischen Realität. Zu dem Thema passt besonders gut, dass Buch was ich gerade lese „2850 Kilometer“ von Miriam Faßbender.
Eine europäische Frau reist in den Norden Afrikas und begleitet afrikanische Flüchtlinge, deren Flucht unter anderem politisch, wirtschaftlich und oder familiäre Beweggründe hat. Die Autorin berichtet von Flüchtlinge, die es nach dem fünften Fluchtversuch und vier Jahre des Warten geschafft haben das europäische Festland zu erreichen, wo sie dann mit gewaltbereiten Grenzbeamten in Kontakt kommen und wenn es gut läuft mit der nächsten Maschine wieder abgeschoben werden – ohne irgendwelche Fragen, warum sie überhaupt geflüchtet seien. Wenn es schlecht läuft, wird ihr Boot wieder aufs offene Wasser mithilfe von Gewehrschüssen getrieben. Das Buch beschreibt zwar eine sehr subjektive Sicht ist aber dennoch ein Kauf wert.
Ich habe das Gegenteil erlebt. Zwar musste ich nicht in dem Sinne „flüchten“, aber ich hatte die Freiheit für ein Jahr aus meinem gewohnten Alltag mehr oder weniger zu „flüchten“. Wie ich mich selber sehe seit Beginn des Freiwilligendienstes?
Ich als Europäer komme an mit meiner kultur- und mediengeprägten Überheblichkeit und denke mir Afrika braucht mich, Afrika braucht Freiwillige, um sich weiter entwickeln zu können und manches Mal dachte ich mir auch Afrika ist ein schönes Land.
Ich glaube es war schon nach allerhöchstens drei Wochen, auf dem Kontinent Afrika und in dem Land Südafrika, das ich genau in dieser Meinung, in diesen Erwartungen nicht bestätigt wurde. Was habe ich mir gedacht, ich als gerade mal 18-Jähriger spaziere daher und zeige den Leuten erst mal wo es langgeht? Was wurde mir in meiner Schulzeit beigebracht? – das Afrika ein schönes Land ist, aber dort sehr viel Armut herrscht und die großzügigen westlichen Industriestaaten das Entwicklungsland Afrika in allen Bereichen unterstützen? Wie kam ich überhaupt auf die Idee Afrika als großes ganzes zu sehen, als ein „Land“, wo überall die gleichen Probleme herrschen? Ein „Land“ geprägt von Armut, Gewalt, Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung?
Wie gesagt ich weiß nicht, woher meine europäische Überheblichkeit kommt – vielleicht ist die noch tief verwurzelt durch die Geschichte, geprägt durch die Kolonialzeit, und oder beeinflusst durch die in meinem Fall deutschen Medien, in denen man in einer Schlagzeile über Afrika immer verbunden mit Armut, Gewalt oder Entwicklungsland findet.
Ich möchte mit diesem Auszug aus meinen Gedanken nicht sagen, dass ich in so kurzer Zeit den Afrika als Kontinent kennengelernt habe – nein das ganz und gar nicht, aber ich habe erkannt, dass Afrika kein Land, sondern ein vielseitiger Kontinent ist, in dem es auf jeden Fall Armut, Gewalt, Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung gibt, und auch stärker als ich das von Deutschland kenne, aber dem gegenüber stehen genauso weitentwickelte Städte und Regionen wie ich sie in Europa erlebt habe.
Was ich damit einfach nur sagen will, natürlich kann man sich gegen die Schlagzeilen nicht wehren und nimmt unterbewusst die Klischees auf, die unter anderem durch die Medien verbreitet werden, aber ich möchte Euch einfach nur sensibilisieren, nochmal genauer hinzuschauen und versuchen zu verstehen und eventuell sogar nachzuforschen, weil ich genau das erlebt hier erleben durfte.
Auch möchte ich nochmal kurz auf meine Position als Freiwilliger eingehen. Wo ich anfangs noch dachte, dass Afrika – Südafrika – Kapstadt – Khayelitsha – die Zenzeleni School mir danken muss, dass ich mit meiner Manpower und meinem Abiturwissen den Menschen hier weiter helfen könnte, wurde ich in der dritten Woche endgültig vom Gegenteil überzeugt.
Ich als Abiturient zwar mit handwerklichem Geschick, aber keiner handwerklichen Ausbildung oder sonst irgendwas in der Art, dafür mit fürs Leben nicht taugliche Matheformeln und das Wissen wie ich eine Bildanalyse und –interpretation mache, durfte in der ersten Arbeitswoche erst einmal ein Haus zu Ende bauen. Ohne die Hilfe und das Wissen von dem letzten Freiwilligen und besonders dem Hausmeister wäre ich eventuell mit Google weitergekommen, aber fertiggestellt hätte ich das Haus bis heute nicht.
Wenn ich weiter zurückblicke auf die letzten fünf Monate habe ich außerdem viel im Umgang mit Kindern und auch in der Gartenpflege gelernt. Zudem durfte ich viele kulturelle Eindrücke sammeln, in der Familie, im Eastern Cape, auf der Straße und allgemein in meinem neuen Lebensumfeld.
Schlussfolgernd möchte ich mich an dieser Stelle zuerst bei den Sponsoren, nicht zuletzt bei der Förderung der Bundesregierung, nochmal bedanken, die mir das Jahr hier möglich gemacht haben und damit den Startschuss für meinen Dank an Afrika – Südafrika – Kapstadt –Khayelitsha – der Zenzeleni Schoool gelegt haben. Kurz gesagt, darf ich keinen Dank erwarten, sondern ich selber muss mich bedanken – Danke!
Puhhh ziemlich langes Wort zum Sonntag – Amen!
Ansonsten kurz zu meiner Woche: in der Schule war alles noch ein bisschen unorganisiert. Verspätete Eltern wollten immer noch ihre Kinder an der Schule anmelden, obwohl wir schon mehr als übervoll sind. Unsere neuen Stundenpläne inklusive Nachhilfeplan bekommen wir auch spätestens erst Montag, weswegen die Woche eher einseitig durch Gartenarbeit und Reparaturen geprägt war. Der Alltag inklusive langersehntem Sport nach dem Urlaub ist trotz nicht ganz gewohnter Arbeit schnell wieder eingekehrt. Das Wochenende habe ich größtenteils wieder in Muizenberg in der WG verbracht inklusive Geburtstagsfeier, Strand und Skypen.
Das war’s auch schon wieder von mir, ich hoffe ihr könnt mit dem Eintrag, besonders dem oberen Teil was anfangen.
Gaanz liebe Grüße und eine dicke Umarmung,
euer Till